Die Fußball-Weltmeisterschaft in Südafrika bestimmt mehr oder weniger das tägliche Geschehen. Ob im Fernsehen oder in den Printmedien, überall findet dieses Ereignis breites Interesse. Ich widme mich an dieser Stelle wieder einem wirtschaftlich geprägten Thema.
Die Wahrnehmung der Volksrepublik China ist geprägt von der boomenden Region und ihren glitzernden Metropolen. Die Instabilitäten des Landes können Voraussetzung für Reformen und den daraus erwachsenden politischen Aufbau sein.
Endlich hat es die Kommunistische Partei Chinas geschafft. Im November 2002 ist es erstmals gelungen, einen politischen Führungswechsel nach den geltenden Statuten der Partei zu vollziehen. Die Weltöffentlichkeit nahm als inhaltliche Veränderung zur Kenntnis, dass künftig auch Privatunternehmer offiziell Mitglieder der Partei werden können. Dennoch ist die Entscheidung des Parteitags ein symbolisch wichtiger Schritt Chinas.
Ein Jahr nach dem Beitritt zur Welthandelsorganisation und nach dem Führungswechsel auf dem 16. Parteitag im Jahr 2002 kommen erneut Fragen auf: Wie wird sich die Volksrepublik China innenpolitisch weiter entwickeln und welche Rolle wird das Land künftig in der internationalen Politik spielen? Westliche Wahrnehmungsmuster erschweren den Blick auf diese Frage.
China ist politisch längst instabil. Häufig liegen in solchen Situationen gerade die Ursprünge für politische Reformen. Für die westliche China-Politik geht es eher darum, auf unvorgesehene politische Veränderungen reagieren zu können. Die Wurzel vieler Probleme im Umgang mit China liegt nicht in China selbst, sondern in unserer Wahrnehmung dieses Landes, seiner Politik, seiner Möglichkeiten und Schwierigkeiten.
Wer sich heute chinesische Städte ansieht, dem bietet sich im Vergleich zu den Jahren nach der Kulturrevolution ein anderes Bild. Man sieht hektisches Markttreiben, moderne Glas- und Metallfassaden, grelles Blinken und Glitzern von Neonreklame, modische gekleidete Menschen.
Diese Eindrücke verleiten dazu, innere Probleme und die explosive politische und soziale Lage zu übersehen, die nach einem Vierteljahrhundert Reformpolitik entstanden sind. Geblendet vom der Gigantomanie der Skylines von Pudong und Shenzhen und des Transrapid-Fiebers nehmen viele westliche Politiker und Unternehmer nur die Schokoladenseite des chinesischen Wirtschaftserfolgs zur Kenntnis.
Die Veränderungsprozesse haben ein Ausmaß angenommen, das es unmöglich macht, zu einer maoistischen Politik zurückzukehren. Die schnell wachsende chinesische Wirtschaft braucht stabile politische Rahmenbedingungen, um binnenwirtschaftlichen Anforderungen und der Weltmarktkonkurrenz gewachsen zu sein. Aber gerade der WTO-Beitritt ist in seinen Folgen für Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik nur schwer abzuschätzen.
Die Rückkehr des Landes stellt Chinas Regierung zusätzlich vor neue außen-politischen Probleme.
Was wäre, wenn China in den nächsten 30 Jahren zur zweiten Supermacht neben den Vereinigten Staaten aufsteigen würde? Das Potenzial für einen solchen Aufstieg ist unbestritten vorhanden.
Militärische Konflikte mit Taiwan und der Versuch einer Militärblockade oder gar eines direkten Angriffs auf eine konsolidierte Demokratie würden die USA und Europa vor schwierige Entscheidungen stellen.
Seit die Volksrepublik China Anfang der achtziger Jahre begonnen hat, ihre eigene Entwicklung in wachsendem Maße mit Zahlen und Daten zu beschreiben, konnten auch westliche Beobachter einen immer besseren Zugang zu solchen Daten erlangen. Ohne Rückgriff auf quantitative Daten lässt sich natürlich kein System beschreiben.
In diesen Wochen lesen wir in der internationalen Presse, dass China im Jahr 2002 die beeindruckende Summe von 52,7 Milliarden Dollar an ausländischen Direktinvestitionen erhalten habe. Das Bruttoinlandsprodukt soll um einen Wert zwischen 7,6 und der magischen Zahl 8 Prozent gestiegen sein. Grundlage für die Zahlen sind die Erfolgsmeldungen chinesischer Unternehmen. Wer mit solchen Zahlenwerken arbeitet, muss wissen, dass sie bestenfalls Trends markieren.
China ist erheblich instabil. Ein dramatisches binnenwirtschaftliches Entwicklungsgefälle zwischen den schnell wachsenden Küstenregionen und dem zentral- und westchinesischen Binnenland verbietet es eigentlich, China als einen geschlossenen Wirtschaftsraum zu betrachten. Seit Jahren die Pressen über eine gigantische Arbeitsmigration.
Die Wanderarbeiter liefern zwar ein billiges Arbeitskräftereservoir, ihre Versorgung aber überfordert auch immer wieder die lokale Infrastruktur in den Ballungszentren. Unrentable Staatsbetriebe stehen im Zentrum einer intensiven wirtschaftspolitischen Debatte sowohl in China als auch in seinem internationalen Umfeld. Schon seit Jahren entladen sich hohe Spannungen immer wieder in örtlich begrenzten Unruhen, Streiks und Aufständen.
Ethnische Unruhen in den beiden Provinzen Tibet und Sinkiang werden im Zuge einer eigenwilligen Auslegung des Kampfes gegen den Terror mit drakonischen Maßnahmen bekämpft, ohne dass es jedoch bislang gelungen wäre, einer echten Befriedung entlang der zentralasiatischen Instabilitätszone näher zu kommen.
Angesichts dieser Faktoren würde man eigentlich keinem Land der Welt Stabilität unterstellen. Für China tut man es aber, denn für Optimisten gilt ungebrochen das Prinzip Hoffnung.